PROZ, Juli/August 2025, S. 11
Nick Joyce
Jannik Giger erhält dieses Jahr einen Schweizer Musikpreis. Und das zu Recht: Der aus dem Schwarzbubenland stammende Komponist und Medienkünstler gehört zu den spannendsten Exponenten der Schweizer Musikszene.
Michael Jacksons vertontes Trennungstrauma «Sheʼs Out Of My Life», die Stadion-Ballade «The Power of Love» von Céline Dion und Frank Sinatras späte Erkennungsmelodie «My Way»: Diese Welthits hat man schon tausendfach gehört. Aber so verstörend, wie sie an diesem Tag durch Jannik Gigers Atelier hallen, haben sie noch nie geklungen.
Denn: Der Basler Komponist und Medienkünstler mit Jahrgang 1985 hat Jackson, Dion und Sinatras Gesang aus den Originalaufnahmen herausgelöst und ihre grossartigen Stimmen mit dissonanten Streichersätzen und harten Soundeffekten unterlegt. Ein Gimmick sind diese Mashups nicht, die Giger am Bildschirm erarbeitet hat. Vielmehr sind sie virtuose Gedankenspiele mit popkulturellen Erwartungen. «David Lynch tut in seinen Filmen etwas Ähnliches, wenn er vertraut wirkende Elemente schief zusammensetzt», sagt Giger im Gespräch: «So entstehen ganz besondere Atmosphären und Spannungen.»
Kreiert hat Giger seine Remakes mit Schockcharakter für die Installation «Lamento» (2025), worüber an dieser Stelle nicht zu viel verraten werden soll. «Lamento» hört und sieht man aber den Einfluss der Filmkomponisten Bernard Herrmann und Howard Shore sowie ihrer berühmten Klienten Alfred Hitchcock und David Cronenberg an. «Für mich sollte Musik beim Zuhörer immer etwas auslösen. Und Herrmann und Shore wissen die Gefühle des Kinopublikums auf eine sehr gekonnte Art und Weise zu manipulieren.»
Breit aufgestellt
Giger, der in Bern, Luzern und Basel Musik und Medienkunst studiert hat, kann bereits auf Werkaufführungen in Berlin und London sowie Filmvisionierungen an wichtigen Festivals stolz sein. Eine leicht erkennbare, künstlerische Handschrift hat sein Werk aber nicht. Dafür ist er mit Performance-Stücken, welche die Beziehung zwischen Komponist, Dirigent und Solist hinterfragen, einer Neuvertonung des Stummfilmklassikers «Nosferatu» und dem Beinah-Musical «Queen Of Hearts» über die 1997 verstorbene Prinzessin Diana von Wales doch zu breit aufgestellt. «Ich strebe als Künstler kein Branding im Stil eines Philip Glass an», bestätigt Giger, «auch wenn so etwas wirtschaftlich gesehen durchaus Sinn machen würde.»
Die Arbeit mit wechselnden Klangkörpern und Theaterensembles geht dem cleveren Eklektiker offenbar leicht von der Hand. Giger führt diese Offenheit auf seine Vergangenheit als Rockmusiker zurück: «Die Rockmusik ist von Haus aus sehr partizipativ. In einer Rockband lernt man, künstlerisch sinnvolle Kompromisse zu schliessen.»
2025 wird Giger vom Bundesamt für Kultur mit einem Schweizer Musikpreis in der Höhe von 40 000 Franken geehrt, wie Anfang Juni bekannt wurde. Die Verleihung findet am 11. September im KKL Luzern statt. Giger hofft, noch lange als Komponist und Medienkünstler weiterarbeiten zu können. Angesichts der jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) weiss er aber, wie düster die Zukunftsaussichten für Kulturschaffende sind. «Zum Glück kommt der Kulturbetrieb nicht ohne Personenkult aus», sagt Giger abschliessend: «Auch in Zeiten der KI wird es weiterhin Menschen wie mich brauchen, die dem kreativen Prozess ein Gesicht geben.»