PROZ, Mai 2025, S. 5
Jacqueline Maurer
«Quir» dokumentiert mit viel positivem Spirit das Leben Homosexueller in Siziliens Hauptstadt.
Titelgebend für den neusten Dokumentarfilm des aus der Toskana stammenden Basler Regisseurs Nicola Bellucci ist der filmische Hauptschauplatz in Palermo: «Quir» heisst der Lederwarenladen, der gleichzeitig zentraler Treffpunkt für die LGBTQIA+-Szene ist. Die Ladeninhaber, Taschenkreateure und Aktivisten Massimo und Gino sind seit 42 Jahren ein Paar. Sie heiraten im Film ein zweites Mal und immer noch inoffiziell, sind Zuhörer und engagierte Protestierende an Demos, die im patriarchalischen Sizilien weiterhin lautstark und bunt eine offenere Gesellschaft fordern.
Schrill, farbenfroh und divers an Formen sind die Taschen, die Massimo und Gino in ihrem Geschäft mitten im historischen Zentrum Palermos fertigen. Der vollbusige und blondierte Massimo kleidet sich als Frau, fühlt sich dennoch weiterhin als Mann. In ihm fand die junge trans Frau Vivian einen wichtigen Gesprächspartner während der Transition und in der Auseinandersetzung mit der weiblichen Identität. Weitere Protagonisten des Films sind Ernesto, der Sänger und Performer, der seine fast 30-jährige Karriere in London unterbrach, um seine demente Mutter zu pflegen, und der Ex-Schauspieler Charly, der in Hollywood mit Marilyn Monroe eng befreundet war, in Erinnerungen schwelgt und an seinem früheren Aussehen hängt. Ihnen allen begegnen wir nicht nur im Lederladen: Sie nehmen uns mit nach Hause und geben uns Einblicke in ihren Alltag und ihre Gedankenwelt. Sie erzählen uns von ihren Coming-outs und von weiteren Stationen auf ihrem bewegten Lebensweg.
Charmante Figuren
Um in die Geschichten seiner Protagonisten vordringen zu können, nähert sich ihnen Nicola Belluccis Kamera ohne vorgegebene Blickwinkel an. Wir Zuschauende werden zu willkommenen Beobachtenden von Situationen, die durch gekonnte, assoziative Montage aus dem vergangenen und aktuellen Leben der charmanten Figuren erzählen. Dies erzeugt ein erfrischendes Filmerlebnis, in dem sich Tragik und Leichtigkeit paaren. Wir erleben, wie wichtig die Gemeinschaft und der gegenseitige Austausch innerhalb der Community ist, um den Kampf für Anerkennung und Freiheit im konservativen Italien und vor dem aktuellen politischen Hintergrund weiterzuführen.
Exemplarisch steht hierfür die Erzählung eines jungen Manns, der seine sexuelle Orientierung und Transition seiner Mutter verkündete, die ihn daraufhin zum Pfarrer schicken wollte. Die «Beichte» ist bei Massimo offensichtlich besser platziert. An den Solothurner Filmtagen hat «Quir» den Publikumspreis gewonnen. Möge der Film auch in Italien ein möglichst grosses Publikum finden und im Idealfall zur Akzeptanz und Toleranz einer diversen Gesellschaft beitragen.
«Quir» läuft ab Do 8.5. in den Kultkino Basel, www.kultkino.ch und nur am Mo 19.5., 20.15, im Marabu Gelterkinden, www.marabu-bl.ch/kino
Spezialvorstellung in Anwesenheit des Regisseurs Nicola Bellucci und des Produzenten Frank Matter: Do 8.5., 20.15, Landkino im Kino Sputnik, Liestal, www.palazzo.ch/kino