PROZ, Januar 2025, S. 15
Chrigel Fisch
Was der Suezkanal mit Karpfen aus China und der Konsum mit Queer und Diversität zu tun hat, davon singen Les Reines Prochaines auf ihrem neuen Album.
«Gewohnheit lässt uns 100 werden/Gewohnheit bringt uns um.» So schallt es aus den Lautsprechern. Les Reines Prochaines sind zurück mit ihrem neuem Album «Scissor*hood». Der royale Gesangs-, Musik-, Performance-, Kabarett- und Tanzverein hat nun schon 37 Jahre seines Lebens damit verbracht, für Aussicht, Einsicht und Durchsicht durch anarcho-feministische Unterhaltung zu sorgen. Unzählige Male ist die Schwesternschaft in wechselnder Besetzung durch die Welt der Kulturbaracken, Klein- und Grosskunstschuppen, durch Theater, Brockenhäuser, und Filmvorführsäle gezogen. «Wir waren jung / Nun sind wir alt», singen die Königinnen in einem neuen Lied. Und stellen fest, als sie die irre Welt betrachten: «Dem Luxus geht die Puste aus.»
Die zukünftigen Königinnen haben in dieser langen Zeit mehr zitatfähige Texte, Refrains und Slogans zu Natur, Kunst, Politik, Alltag und Menschsein hinterlassen als Mani Matter, Emil und Pedro Lenz zusammen – behaupten wir jetzt einfach mal.
«Scissor*hood» ist ihre elfte Albumproduktion, und die erste seit der Verleihung des Basler Kulturpreises 2022. In Basel ziehen Sus Zwick, Muda Mathis und Fränzi Madörin als amtierendes Kernköniginnenteam seit jeher ihre kreativen Kreise: Hier wohnen und arbeiten sie, trinken Kaffee, braten Braten, faulenzen, arbeiten wieder und sind so längst zu Legendinnen einer Kultur geworden, die etwas will und dafür hart rackert. Drei Jahre zuvor hatten Les Reines Prochaines den Schweizer Musikpreis erhalten, 2019, als Alain Berset, der den Preis übergab, noch der war, der Beat Jans, der den Preis in Basel übergab, später werden sollte (anstelle von Eva Herzog).
Musikalisch ist es dezent und runder geworden in den 16 Liedern. Es swingt elastisch, es fiepst wohl platziert, die Feinheiten sind allerliebst, der Rhythmus stimmt, gut gepolstert führt der Bass, warm klingt der Holzbläserklang und etwas melancholisch. Feministische Volksmusik: Die Geschichten sind so scharf, kompromisslos und post-dadaistisch wie es die Zeit verdient.
«Gewohnheit», oben zitiert, ist ein balladeskes Chanson, während «Telefonshop» einen absurden Kundenbindungsleerlauf erzählt. «Wem gehört die Welt?» bringt als Manifest des Albums lakonisch die schwermütige Frage aufs Tapet, und denkt sie munter weiter. Und ist allein schon das Geld für die ganze Platte wert. In «Plan B» gehts gegen Selbstoptimierung, mit einem Plädoyer fürs Unperfekte und für Aufmüpfigkeit: «Lehn dich mal zum Fenster raus / Mach dich angreifbar». Klingt einfach – aber wer macht sich heute denn noch so zum Affen? Zu gefährlich, als Andersdenkende in unserer Wohlfühldemokratie entlarvt und erlegt zu werden.
Schwestern sind wirklich grossartig
Wortspiele gibt es jede Menge in den neuen Songs, «my life is gray» meint natürlich «my life is gay». Im Titelsong «Scissor*hood» werden die Scheren (scissors) am Ende zu den geliebten Schwestern (sisters): «Sisters are really great». Und darum gibts hier auch ein Wortspiel zum Schluss: Lang leben die Königinnen, lang lebe die Mon-An-archie!
Les Reines Prochaines, «Scissor*hood»: erschienen am Sa 7.12.24, Kurzauftritt an der Museumsnacht: Fr 17.1., Staatsarchiv Basel, Konzert: Sa 1.2.24, 20 h, Theater Palazzo Liestal, www.reinesprochaines.ch